DorotheeOberlinger
ArtistinResidence2024

Lang ist die Liste von PianistInnen, SängerInnen, DirigentInnen und anderen MusikerInnen, die auf dem Gipfel ihrer Laufbahn neue Aufgaben gesucht und gefunden haben. Zu ihnen gehört auch Dorothee Oberlinger, seit Jahrzehnten gefeierte Virtuosin auf der Blockflöte. Vor mehr als zwanzig Jahren hat sie das Ensemble 1700 gegründet, das sie bis heute leitet, seit 2018 ist sie Intendantin der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. 2024 ist Dorothee Oberlinger Artist in Residence beim Festival Alte Musik Knechtsteden.

Als Artist in Residence haben Sie nicht nur das Programm entscheidend mitgestaltet, Sie holen auch KünstlerInnen nach Knechtsteden, mit denen Sie schon aufgetreten sind oder Alben aufgenommen haben. Wird Ihre Residency auch ein Wiedersehen mit alten Freunden?   

Ja, es ist toll, dass zum Eröffnungskonzert am 21. September mein Ensemble 1700 in die Klosterbasilika kommt und ich konnte mir auch die Riege der Solisten aussuchen. Darunter sind natürlich Freunde, aber eben auch KünstlerInnen, mit denen ich zum ersten Mal arbeite. Der britische Tenor Laurence Kilsby zum Beispiel war vor zwei Jahren Preisträger beim Cesti-Wettbewerb der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Mit ihm habe ich vorher noch nicht gearbeitet und er ist jetzt in Knechtsteden dabei, das freut mich sehr.

Ein Oratorium von Georg Friedrich Händel eröffnet in diesem Jahr das Festival Alte Musik Knechtsteden: Il trionfo del Tempo e del Disinganno. Sie stehen am Pult. Ist das ein Werk, das einen direkt packt? 

Das ist einfach wahnsinnig tolle Musik. Ich bin sowieso ein großer Händel-Fan, er ist ja ein ganz großer Melodiker. Wie er mit der italienischen Sprache umging, wie er italienische Oper geformt, die Gattung dann später auch nach London gebracht hat und riesigen Erfolg damit hatte, das ist einfach interessant. Und ich sage jetzt Oper – es ist ja eigentlich ein Oratorium. Damals hat Papst Innozenz XI. in Rom ein Opernverbot erlassen. Man sollte sich ganz dem Glauben widmen und sich nicht ablenken lassen, indem man Vergnügungen nachging, wozu Opernaufführungen zählten. Und Händel hat deswegen ein Oratorium komponiert, das war noch erlaubt.

Es geht um die Sinnsuche, heute würde man vielleicht von der Frage eines nachhaltig gestalteten Lebens sprechen.

Genau, es geht darum, schon während des Lebens nach einem tieferen Sinn und der Schönheit im Glauben zu suchen. Es gibt die wunderschöne letzte Szene, in der die allegorische Schönheit im Himmel sitzt und herabschaut auf die Erde und den Wert der inneren Schönheit betont und das ist natürlich ein sehr poetisches Bild. Es passt aber auch in das katholische Rom, in dem man die Menschen von den oberflächlichen Vergnügungen abbringen wollte.

Das wird keine Opernaufführung, aber ja auch kein ganz gewöhnliches Konzert.

Wir haben Nils Niemann dazugeholt, der ein Spezialist für historisches Schauspiel und historische Opernaufführungen ist, damit er uns szenisch berät, sodass man sich die Handlung auch ein bisschen vorstellen kann. Die wunderbare Akustik der Basilika wird ihr Übriges tun.

Bei Ihrem zweiten Konzert kann man Sie als Blockflötistin erleben, gemeinsam mit der Akademie für Alte Musik Berlin. „Klage des Friedens“ ist das Motto, aber es ist dann doch ein sehr buntes Programm.

Inspirationsquelle ist Die Klage des Friedens von Erasmus von Rotterdam, der seiner kriegerischen Gegenwart und den Absurditäten des Krieges die Utopie einer friedlich handelnden Gesellschaft gegenüberstellt, und ich glaube, das könnte nicht aktueller sein. Das ganze Programm ist sehr bildhaft. Wir hören von Antonio Vivaldi die Sinfonia zu seiner Oper Armida, die ja eine kriegerische Frauengestalt ist. Wir haben die Musikalische Fechtschule von Johann Henrich Schmelzer mit dabei. Wir erleben auf der anderen Seite den „Entrée de Polymnie“ aus Les Boréades von Jean-Philippe Rameau, da könnte man sagen, es ist ein Ausblick in eine andere, utopische Welt. Das ist alles also sehr kontrastreich.

Und dann wartet auf Musikfreunde noch ein Duo-Abend, den Sie gemeinsam mit Nils Mönkemeyer gestalten. Blockflöte und Bratsche, eine seltene Kombination. Wie hat dieses Duo Gestalt angenommen?

Nils und ich haben oft zusammengespielt und dabei festgestellt, dass es so gut wie überhaupt kein Repertoire für uns gibt. Und dann haben wir beschlossen: Wenn wir ein Duo-Programm machen, erschaffen wir unser eigenes Repertoire. Wir haben uns einen Tag bei mir in Salzburg in meinem Unterrichtsraum am Mozarteum getroffen und erstmal einen ganzen Stapel Bach durchgespielt. Und wir haben gemerkt, dass wir auch noch einen Ausflug in die neuere Musik machen möchten, zu Musik von John Cage und Morton Feldman. Ein Student von mir aus Taiwan, der Blockflötist und Komponist Wen Cheng Wei, hat außerdem ein Stück und die griechische Komponistin Konstantia Gourzi gleich zwei Stücke beigesteuert.

Zumindest im Barock waren solche Bearbeitungen und Übernahmen ja üblich, war das ein Vorbild?

Ja, der Werkstattgedanke. Georg Muffat hat gesagt, was man stiehlt, solle man mit Zins erstatten. Man könne schon ein Thema von einem anderen Komponisten übernehmen, aber dann solle man etwas noch Besseres daraus machen und das war ein bisschen unser Vorsatz. Und ich finde, dass das auch sehr gut zum diesjährigen Motto in Knechtsteden passt: „Zwischenwelten“. Nils und ich bewegen uns beide zwischen den verschiedensten stilistischen Welten und Zeitaltern.

Das Gespräch führte Daniel Frosch.

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